Das Paradiesghetto - Roman by Eberhard Rathgeb
Autor:Eberhard Rathgeb [Rathgeb, Eberhard]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Carl Hanser Verlag Muenchen
veröffentlicht: 2014-09-12T22:00:00+00:00
15
Als auch ihre Mutter gestorben war, kam eine große Holzkiste aus Argentinien, angefüllt mit Büchern, Geschirr, Fotoalben und anderen persönlichen Andenken. Spätabends, wenn ihr Mann und die Kinder im Bett lagen und schliefen, schaute sie sich die Fotografien an und ging die Unterlagen durch, Briefe, Zeugnisse, Urkunden, die keiner mehr brauchen würde. Sie sah ihre Mutter als junge Frau und ihren Vater als jungen Mann, sah die beiden in großen Schritten älter werden, bis sie kurz vor ihrem Tod standen, der sich in ihren Gesichtern nicht ankündigte, er kam überraschend und viel zu früh. Sie machten noch auf den letzten Fotografien nicht den Eindruck, krank oder kraftlos zu sein, und doch wirkten sie beide jetzt resigniert und enttäuscht, als hätten sie vom Leben nicht mehr viel zu erwarten und sähen dem Ende entgegen.
Du und die Juden, sagten die Töchter.
Was soll das heißen?, fragte sie, hellwach. Sie fühlte sich angegriffen.
Du beschäftigst dich nur mit der Judenvernichtung, sagten sie. Du interessierst dich für nichts anderes auf der Welt.
Sie sind verrückt geworden, dachte sie.
Ihr seid verrückt geworden, brauste sie auf. Als würde ich den ganzen Tag im Sessel sitzen und lesen. Ich arbeite im Garten, ich kaufe ein, drei Mal am Tag ziehe ich mit dem Hund los, ich kümmere mich um das Grab eures Vaters. Keiner hilft mir, ich mache alles allein.
Ich und die Juden, dachte sie. Seid froh, dass einer von der Familie sich mit der Judenvernichtung beschäftigt.
Die Töchter sahen beschämt zu Boden.
Sag uns, wenn wir dir helfen sollen, baten sie.
Ich verzichte auf eure Hilfe, dachte sie.
Erst sagst du, dass wir dir nicht helfen können, und dann beschwerst du dich über uns, klagten sie.
Ich beschwere mich nicht, sagte sie. Ich stelle etwas fest.
Wir könnten am Wochenende Einkäufe für dich erledigen, sagten sie.
Ich würde verhungern, wenn ich mich auf euch verließe, dachte sie.
Wir könnten dir Vorräte anlegen, dann müsstest du nicht so oft zum Supermarkt gehen.
Ich gehe zum Supermarkt, nicht ihr, dachte sie.
Sie winkte mit der Hand ab und starrte vor sich hin. Die Töchter suchten nach einem Ausweg aus der angespannten Lage.
Als Hitler den Krieg anfing, wart ihr drüben, sagten sie.
Wir waren drüben, als Hitler den Krieg anfing, erwiderte sie gereizt.
Deine Eltern waren keine Nazis, sagten die Töchter.
Sie waren keine Nazis, bestätigte sie, auf Provokationen gefasst.
Dein Vater …
Was ist mit meinem Vater?
Er arbeitete bei einer deutschen Firma?
In leitender Position, sagte sie.
Ein Deutscher in leitender Position, sagten die Töchter. Sie trieben ein gefährliches Spiel.
Wir wohnten zuerst in einer Villa mit zwölf Zimmern, sagte sie.
Bei einem deutschen Unternehmen, beharrten die Töchter.
Das könnt ihr euch nicht vorstellen, zwölf Zimmer, sagte sie, unbeirrt ihren Erinnerungen nachhängend.
Das können wir uns nicht vorstellen, sagten die Töchter, wagten aber nicht, ihrer Mutter zu sagen, was sie sich nicht vorstellen konnten.
Wir hatten Personal, eine Frau für die Wäsche, eine Frau für die Küche, eine Frau zum Putzen, ein Kindermädchen, einen Gärtner.
Einheimische, ergänzten die Töchter, und es klang so, als würden sie sich seit jeher für soziale Gerechtigkeit einsetzen.
Einheimische, wen sonst, sagte sie.
Billige Arbeitskräfte, sagten die Töchter, die sich vor der Mutter stark fühlten.
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